Früher hatte ich – das muss ich leider gestehen – ein etwas zwiespältiges Verhältnis zu Arbeitslosen und Hartz-IV-Empfängern. Allzu leicht kommt einem der Spruch “Wer arbeiten will, der findet auch Arbeit!” über die Lippen. Sicher gibt es auch zahlreiche Faulenzer, die sich auf Staatskosten einen Lenz machen – sofern das denn möglich ist. Es gibt aber mit Sicherheit eine viel größere Gruppe derer, und zu denen zähle ich mich auch, die schuldlos in diese Situation geraten sind und trotz aller Bemühungen nicht mehr den Weg zurück in ein angemessenes Arbeitsleben finden.
Hat man erst mal die Zeit beim Arbeitsamt, oder wie es heute heißt, der Ag*ntur für Arb*it, hinter sich gelassen und ist unweigerlich im großen Heer der Hartz-IV-Empfänger gelandet, macht man Stadien durch, die man sich in seinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können. Deshalb, und weil mich die dummdreisten Sprüche einiger Bürger und vor allem Politiker maßlos ärgern, schreibe ich darüber. Ich glaube, das tun nicht allzu viele – ganz einfach weil man sich schämt! Das habe ich auch lange Zeit getan, bis ich mich irgendwann fragte, warum eigentlich? Hast du dir diesen Zustand ausgesucht? Nein, habe ich mit Sicherheit nicht. So what?
Lassen wir also mal die Ag*ntur für Arb*it beiseite und stürzen uns gleich ins J*b-C*m-Leben. Es ist ja eine wunderbare Einrichtung, dass Bedürftige unterstützt werden aber rechtfertigt das eine Vollbremsung der Lebensqualität auf null? Wer gibt dieser Behörde das Recht, Menschen zu bevormunden, zu drangsalieren, zu kontrollieren? Es beginnt damit, dass die Wohnung besichtigt wird, ok, kein Problem, ich habe ja nichts zu verbergen. Die zeitgleiche Frage “Kann ich mal in Ihren Kühlschrank schauen?” mit dem Öffnen des selbigen ging mir dann allerdings eindeutig zu weit – eine Unverschämtheit. Wo bleibt da mein Persönlichkeitsrecht?
Weiterhin folgen die Offenlegung sämtlicher Kontobewegungen, Vermögens- und Einkommensverhältnisse und so weiter und so weiter – man muss buchstäblich die Hose runterlassen. Nicht gerade angenehm aber wenn man Unterstützung haben möchte, muss man dieses Spiel eben mitmachen. Nebenher wird nicht damit gespart, den arbeitsscheuen und potentiellen Betrüger bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass man im Grunde jede Menge Pflichten aber keinerlei Rechte hat. Am besten sind hierbei immer die “Einladungen” zu meist sinn- und hirnlosen Maßnahmen, wo dann gleich auf die rechtlichen Folgen (heißt gleich: Geld wird gesperrt) des Nichterscheinens verwiesen wird. Hmm, also ich dachte immer, bei einer Einladung kann ich mir aussuchen, ob ich da hin gehe oder nicht.
So, nun bekommt man also die heiß ersehnte Unterstützung, von der man von nun an leben soll. Leben? In meinen Augen ist das kein Leben mehr. Ich erwarte sicher keine Reichtümer, auch vorher habe ich nicht auf großem Fuß gelebt, aber ich konnte mir hin und wieder ein paar Klamotten kaufen, mal zum Friseur gehen oder mir auch mal ein Buch kaufen. Große Sprünge waren nicht drin, aber ich bin bescheiden, ich brauche keinen Luxus. Und selbst das kann man ab sofort vergessen. Man beginnt, Sachen “für gut” weg zu tun, die werden dann nur für Bewerbungsgespräche vorgeholt, damit man dort nicht wie der letzte Hänger erscheint. Jede Fahrt mit dem Auto wird geplant und genau überlegt, damit man nicht unnütz Sprit vergeudet, abgesehen davon, dass man so manche Fahrt einfach nicht macht, weil man kein Geld zum Tanken hat. Das gesellschaftliche Leben liegt zusehends brach – oh, man muss 20 Euro berappen um an einer Veranstaltung teilnehmen zu können? Tut mir leid, kann ich nicht. Arztbesuche? Hehe, vergiss es, krank werden ist nicht, das kostet Geld! Jaja, die lächerlichen 10 Euro hat man meistens einfach nicht.
Und immer und immer wieder “Einladungen” über “Einladungen”, womit der morgendliche Gang zum Briefkasten bald zu einer (Angst-)schweißtreibenden Angelegenheit mutiert. Gespräche mit herablassenden Sachbearbeitern, die nicht müde werden, einem gebetsmühlenartig die eigene Faulheit und Arbeitsscheu vor Augen zu führen. Gleichzeitig wird einem mit mitleidigem Blick versichert, dass man ja wisse, dass Stellen in meinem Beruf schwer bis gar nicht zu finden seien, setzt aber im selben Atemzug die Zahl der von mir zu erbringenden Bewerbungen immer höher. Das lässt doch irgendwie jegliche Logik vermissen – faszinierend! Nicht zu vergessen, dass die Arbeitsangebote der J*b-C*m gleich null sind und entsprechende Kurse zur Erweiterung meiner beruflichen Qualifikation bei verschiedenen Sachbearbeitern entweder möglich, dann wieder nicht möglich sind. Das verstehe wer will.
Nach nunmehr einem Jahr habe ich meinen anfänglichen und lange durchgehaltenen Optimismus verloren, alle Durchhalteparolen fruchten nicht mehr, die Hoffnung hat sich in Luft aufgelöst. Ich denke, es liegt auch zu einem großen Teil an meinem Alter – es ist zwar nicht zulässig (das interessiert die Arbeitgeber allerdings herzlich wenig), aber mit 46 gilt man als alt. Darüber hinaus werden die meisten Teilzeitstellen als Minijob angeboten, damit ist man aufgeschmissen, wenn man wie ich bereits einen solchen hat. Ausweichen auf andere Berufszweige oder Helferstellen wird verlangt, habe ich auch gemacht – aber was nutzt das wenn einen niemand mehr will.
Diese Erkenntnis tut weh, richtig weh! Wie so manches andere auch in diesem herrlichen Hartz-IV-Leben, in dem es uns ja so gut geht, dass wir uns vor lauter Begeisterung kaum halten können. Ja sicher, es stärkt ungemein das Selbstbewusstsein, wenn man anderen Menschen auf der Tasche liegen muss, gestehen muss, dass man nichts mehr zu Essen im Haus hat und zu Weihnachten bitte schön keine Geschenke bekommen möchte, weil man selbst auch nichts schenken kann. Dass man seine über alles geliebten Yoga-Kurse aufgeben muss (die auch einen gesundheitlichen Aspekt hatten), ratlos vor dem Bücherregal steht weil alles schon gelesen und immer den angstvollen Gedanken im Hinterkopf “hoffentlich geht blooooß nichts kaputt!” Eine dringend benötigte Lesebrille wird zum unüberwindbaren Hindernis und eine Zahnsanierung bis ins Unendliche hinausgezögert. Man steckt ein und steckt ein, macht ohne Ende Fäuste in der Tasche damit man den einen mickrigen Job, den man hat, nicht auch noch verliert, man hält den Mund, lässt sich beschimpfen, erniedrigen – und hält die Klappe. Das macht glücklich, das macht froh und gesund, jawollja!
Irgendwann wird da auch die größte Frohnatur depressiv, mutlos, dünnhäutig – und krank! Selbst mein Arzt hat mir bestätigt, dass gewisse Erkrankungen, allen voran Depressionen, bei Menschen in meiner Situation völlig “normal” wären. Wie beruhigend, dann brauche ich mir ja keine Sorgen zu machen.
Wären da nicht die Menschen, die trotzdem immer zu mir gehalten, mich unterstützt und aufgefangen haben, meine Familie und die wenigen Freunde, die ich noch habe….und ja, meine Hunde – ich hätte längst das Lachen verlernt. Mir tun die Leute, die so eine Phase alleine durchstehen müssen, in der Seele leid und ich werde gewiss nie wieder sagen “Wer arbeiten will, der findet auch Arbeit!” Das konnte man vielleicht vor dreißig Jahren sagen aber heute gehört dieser sinnfreie Spruch in die Mottenkiste.
Tja, und all die angeblichen Freunde, die mich in dieser Situation alleine gelassen haben, warum auch immer…..ich sage jetzt nicht, was ich denen wünsche. Klingt ziemlich verbittert, ich weiß. Aber man lässt einen Menschen nicht in der Not im Stich, wer das tut, ist ein Schwein. Meine Meinung!
Das ist ja ein ziemlicher Aufsatz geworden aber ich musste das einfach mal los werden. Mich packt einfach die Wut wenn ich das dumme Geschwätz von Politikern im TV höre, die selbst in Saus und Braus leben und sich Gedanken darüber machen, womit man die faule Bande von Hartz-Empfängern denn noch unter Druck setzen kann. Oder von Mitbürgern, die uns schief ansehen und an den Rand der Gesellschaft drängen, als wären wir fiese Parasiten. Liebe Mitbürger, wisst ihr wie die Hölle aussieht? Nein? Aber ich!
@Gucky, Ja Gucky, so weit kommt das noch. Die haben mich bei einem Beratungsgespräch auch mal auf gesundheitliche Dinge angesprochen. Dazu habe ich nur gesagt, dass sie meine Gesundheit nichts angeht und dass ich darüber auch nicht diskutiere. Irgendwann reicht es einfach und ich lasse mir nicht vorschreiben, wann ich aufhöre zu rauchen.
Aber danke für den Link, sehr interessant!
@Michaela, Ach Michaela, das ist total süß von dir. Ich lese am liebsten Krimis, Thriller und sowas – hättest du da auch was abzugeben? Historische Romane auch gerne.
Ich findes es auch wichtig, solche Dinge offen auszusprechen. Auch damit die Menschen sich mal bewusst machen, wie sehr sich viele schämen. Schämen sollten sich da ganz andere!
Wünsche dir einen schönen Sonntag – und dem süßen Beau natürlich auch.
Bist du Raucherin ?
Ich ja nicht mehr. Ich habe es aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben. Sonst würde ich wahrscheinlich noch so weiter geraucht haben wie zuletzt mit etwa 10 Ziggis am Tag.
Was hat das nun mit Hartz IV zu tun ?
Gucke mal hier –> http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenueberhartziv/hartz-iv-jobcenter-zwingt-zur-rauchentwoehnung-9001219.php
Huhu!
Na was soll ich sagen. Besser hättest du die Sachen nicht auf den Punkt bringen können. Bei mir ist es aber fast die selbe Situation. Berentung mit 30 wegen voller Erwerbsminderung. Das kann doch nicht sein, Da sind viele der Meinung, dass ich einfach keinen Bock mehr habe zu arbeiten. Jaaaaa genau und dafür habe ich studiert und alles oder um dann das einfach so in die Tonne zu treten?
Manchmal muss man einfach Dinge öffentlich sagen und direkt auf den Punkt bringen, weil nur so manche vielleicht mal aufwachen, die meinen dass die ganze Welt in rosa Watte liegen würde. Wirklich unglaublich!
Ach ja und wegen Büchern – was liest du denn so? Ich habe hier zwei prall gefüllte Bücher Schränke, die bald platzen mit feucht fröhlicher Frauen Satire. Ich kann dir gerne welche mal zum lesen schicken wenn du willst!
Grüße
Michaela
@Gucky, Danke für deinen Kommentar, Gucky. Ja das mit dem Urlaub ist auch so eine Sache. Erst mal musst du das Amt “um Erlaubnis bitten”, wenn du Urlaub haben möchtest und dann höre ich immer diesen doofen Spruch:” Urlaub? Sie haben doch jetzt genug Urlaub gehabt!” Da könnte ich dem jenigen aus dem Stand eine pfeffern. Unter Urlaub stelle ich mir etwas Anderes vor.
LG. Angi
Neeneee… ich habe keine Angst. Nur gibt es zu dem Text nicht viel zu sagen. Weil es so ist…
Allerdings geht es hier ziemlich ruhig zu. Am meisten Theater hatte ich, als ich das beantragt habe.
Ich bin ja nun schon etwas älter und seit einigen Jahren aus der aktiven Arbeitsvermittlung raus.
Das äußert sich so, dass ich statt 3 (oder waren es 4) Wochen 18 Wochen im Jahr Urlaub machen könnte
Nur wovon ?
Ganz wichtig ist auch, dass einem jemand hilft und unterstützt.
@Maya, Danke Romylein, tja, ist ein unangenehmes Thema und schimpfen darf man nicht. Da trauen sich die Leute nicht zu kommentieren. Ich bin aber nun mal nicht der Mensch, der immer nur schön Wetter macht. Wenn mich etwas aufregt, dann sage ich das.
Natürlich schaffen wir das, so oder so.
Hallo Angi, bin ich jetzt die Einzigste die zu deinem “supertollen Beitrag” sich traut etwas zu schreiben, obwohl wir ja täglich über vieles reden. Ich finde reden und weinen ist wichtig und keine Schande.
Sehr interessant und verständlich geschrieben. Was kann ich sonst noch dazu sagen? Du hast Recht aber du kennst mich, versuche zu trösten und wir schaffen das meine Angela.
Dicke Umärmelung….